Als Ende der 60er Jahre die Ablösung der letzten zweiachsigen Straßenbahnen anstand, entschloss man sich bei den Mannheimer Verkehrsbetrieben einen neuen, von den bisher gelieferten Gelenkwagen abweichenden, Fahrzeugtyp zu beschaffen. Bei der Düsseldorfer Waggonfabrik (DÜWAG), die auch die schon vorhandenen Gelenkwagen gebaut hatte, stießen die Pläne auf großes Interesse. Um Marktführer zu bleiben, galt es ohnehin neue Wege beim Fahrzeugbau zu gehen. Somit war die Idee für den „Typ Mannheim“ geboren.
Das Fahrzeug war zwar an die bisherigen Gelenkwagen angelehnt, besaß aber trotzdem einige wichtige Neuerungen. Die Fenster des „Typ Mannheim“ wurden bis unter die Dachkante gezogen. Diese sollte auch den stehenden Fahrgästen einen Blick nach draußen ermöglichen. Auch die Türen erhielten größere, weiter nach unten gezogene Fenster, wodurch die Haltestelle bereits beim Einfahren überblickt werden konnte. Geliftet wurde ebenfalls die Front: Anstelle eines einzelnen Scheinwerfers erhielten die Wagen einen Doppelscheinwerfer. Auch die Frontscheibe wurde unmittelbar bis unter die Dachkante hinaufgezogen, wodurch Zielfilm und Linienfilm einen neuen Platz, nebeneinander auf dem Dach, fanden. Auch der Innenraum erfuhr eine Überarbeitung. So erhielten die Fahrzeuge eine Vis-à-vis-Bestuhlung, ergänzt durch kleine Ablagetische. Das Gelenkportal erhielt eine neukonstruierte Kunststoffverkleidung. Internationales Aufsehen erregte man, als die Wagen mit Klimaanlagen ausgestattet wurden. Was heute als selbstverständlich gilt, war damals ein Novum bei Straßenbahnwagen.
Die Auslieferung der ersten zehn Wagen erfolgte im Jahre 1969. Ihren ersten großen Auftritt in der Öffentlichkeit hatten die Wagen am 13. Dezember 1969 bei der Eröffnung der Strecke zur Vogelstang. Die reguläre Inbetriebnahme erfolgte allerdings erst im Laufe des Jahres 1970. 1971 erfolgte eine Lieferung von weiteren zehn Wagen.
In ihrer Betriebszeit blieben die Fahrzeuge weitestgehend von Umbauten oder Modernisierungen verschont. Es wurden nur kleine Änderungen vorgenommen, wie der Austausch des Doppelscheinwerfers durch zwei weiter auseinander liegende Scheinwerfer.
Ausmusterung in Mannheim
Durch die Modernisierung des Wagenparks mit Niederflurfahrzeugen ab Anfang der 90er Jahre, wurden die Wagen zunehmend überflüssig. 1994 und 1995 konnten deshalb drei Wagen nach Görlitz abgegeben werden, 1996 erhielt Zagreb fünf Fahrzeuge. Die restlichen Fahrzeuge drehten weiter ihre Runden durch Mannheim, fortan vornehmlich auf der Linie 2.
Mit Auslieferung der Variobahnen endete 2003 der planmäßige Einsatz der Fahrzeuge in Mannheim. Fünf der noch vorhandenen Fahrzeuge wurden im Betriebshof Luzenberg abgestellt und dort auch später verschrottet. Ein Wagen verblieb als Fahrschulwagen im Betriebshof Möhlstraße. Die restlichen sechs Fahrzeuge waren zunächst im Betriebshof Luitpoldhafen, dann in Edingen abgestellt. Vier der in Edingen abgestellten Fahrzeuge gelangten nach Helsinki, die anderen beiden wurden an Ort und Stelle verschrottet. Der noch in der Möhlstraße verbliebene Wagen wurde von den Verkehrbetrieben in Helsinki als Ersatzteilspender übernommen.
© Yannick Schäffner
In Helsinki waren die Wagen nur zur Überbrückung gedacht, da Probleme mit den eigenen Niederflurwagen bestanden. Folglich war es nur eine Frage der Zeit, bis die Wagen auch dort außer Dienst gestellt würden.
Rückkehr in die Heimat
Als das Ende abzusehen war, entschloss sich die IGN nach Absprache mit der Rhein-Neckar-Verkehrs GmbH über Spendengelder finanziert eines der Fahrzeuge zurückzuholen. Die Wahl fiel auf den ehemaligen Mannheimer Triebwagen 455. Er wurde mit einer finnischen Spedition zurück nach Mannheim überführt, wo er in der Nacht vom 16. auf den 17. Dezember 2013 in Empfang genommen wurde.
Aufarbeitung und Wiederinbetriebnahme
Im Jahr 2021 begann die Aufarbeitung des Typ Mannheims für Ausstellungszwecke. Über die vielen Einsatzjahre hinweg wurden immer wieder kleinere Umbauten an den Fahrzeugen vorgenommen. Um den Wagen in den Zustand der 1970er-Jahre zurückzuführen, wurden notwendige Anpassungsbedarfe festgestellt. Viele Teile für den Typ Mannheim waren extra noch in verschiedenen Lagern der RNV, des FTM-Depot 5 Nahverkehrsmuseum und der IGN eingelagert, andere konnten im Austausch mit Vereinen und Verkehrsunternehmen in Deutschland beschafft werden.
Anschließend begann zunächst in Ludwighafen durch Vereinsmitglieder, später dann in der Zentralwerkstatt Mannheim die Aufarbeitung. Hierfür wurde der Wagen komplett abgeschliffen, eine Rostsanierung durchgeführt und der Wagen anschließend neu lackiert.
Bei der Aufarbeitung wurde auch der Austausch des ursprünglichen Doppelscheinwerfers durch die zwei weiter auseinander liegenden Scheinwerfer rückgängig gemacht. Hierfür wurden die seitlichen Ausschnitte im Wagenkasten wieder verschlossen und ein neuer Ausschnitt in Wagenmitte geschaffen, wobei auch die ursprüngliche Anordnung im Wagenkasten wieder zum Vorschein kam.
Bunte und grüne Bahn, Klimaschutz-Botschafter und Vintage Store
Während die Aufarbeitung des Tw 455 zunächst nur für Ausstellungszwecke geplant war, konnte der Tw 455 dank finanzieller Mittel für die Bundesgartenschau auch fahrfähig als „Grüne Bahn“ hergerichtet werden. Dabei hatte der Typ Mannheim bereits seinen zweiten Einsatz bei einer Bundesgartenschau, denn bereits 1975 fuhr der Typ Mannheim als damals modernster Wagen im Fuhrpark der Verkehrsbetriebe schon durch Mannheim.
Für die „Grüne Bahn“, welche als Botschafter für das Großprojekt #17Ziele von Engagement Global aufmerksam machen sollte, wurde der Typ Mannheim gemeinsam mit der Rhein-Neckar-Verkehr GmbH (rnv) und der Bundesgartenschau Mannheim (BUGA 23) zur Dschungelbahn. Der komplette Innenraum des Tw 455 wurde üppig begrünt, auf dem Boden, den Wänden und neben den Sitzen mit Palmen, Klettergewächsen und vielen anderen Pflanzen dekoriert. Außen erhielt der Wagen ein auffälliges Farbmuster, welches bis zum Wagenübergang mehr und mehr in die ursprüngliche Lackierung überging.
Ab dem 7. Juni [2023] wird in Mannheim die erste fahrende grüne Straßenbahn unterwegs sein. Dabei wird der komplette Innenraum der Tram üppig begrünt sein, auf dem Boden, den Wänden und neben den Sitzen – mit Palmen, Klettergewächsen und vielen anderen Pflanzen. […] Die Grüne Straßenbahn macht deutlich, dass jeder Fahrgast von Bahnen und Bussen einen wertvollen Beitrag für das Klima und die Luftqualität leistet. […] „Mit unserer Grünen Bahn setzen wir ein plakatives Zeichen für Nachhaltigkeit. Wir wollen damit zeigen, dass der öffentliche Personenverkehr praktizierter Klima-, Natur-, Ressourcen- und Lärmschutz ist.“ […] „Die grüne Tram ist eine weitere Aktion rund um die BUGA 23, mit der wir die Themen der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung im Alltag und im Bewusstsein der Menschen positiv verankern wollen.“
Auszug aus der Präsentation der grünen Bahn mit Zitaten von Christian Mäntele, Leiter des Projekts #17Ziele bei Engagement Global. Quelle: https://17ziele.de/blog/detail/die-gruene-bahn.html
Die grüne Bahn verkehrte ab 7. Juni 2023 für knappe Wochen auf einer Innenstadtrunde durch die Mannheim. Auf einer extra eingerichteten Website konnte der Fahrtverlauf des Tw 455 auch per GPS immer verfolgt werden.
© Dirk Wittmann
Am 18. Juni 2023 endete der Einsatz der grünen Bahn. Während für die Pflanzen dies die Endstadion war -Interessierte die Pflanzen nach der letzten Fahrt im Betriebshof abholen- behielt der Typ Mannheim auch noch einige Tage danach sein buntes Outfit. Die IGN nutze die Gelegenheit für eine Fotosonderfahrt abseits der sonst üblichen Innenstadt-Strecke der grünen Bahn und die Stadt Mannheim für einen Sondereinsatz als rollender Vintage Store des FutuRaum Mannheims.
© Dirk Wittmann
Einsatz als historisches Fahrzeug
Seit dem Spätsommer 2023 präsentiert sich der Wagen nun im Zustand der 1970er Jahre und ist für Sonderfahrten mietbar.